Lukas Lauermann – I N
Hier das zweite Soloalbum des Cellisten und Komponisten Lukas Lauermann, viel gefragter Gast überall dort in der zeitgenössischen Musik, wo es experimentell zugeht und sich trotzdem niemand die Ohren zuhalten muss. Das Opus trägt den Titel „I N“ und beschreibt einen besonderen Zustand: Jemand geht IN sich und bekommt im selben Augenblick INput von außen. Beim Durchschreiten der 12 Halbtöne der Musik erklingen neben dem Cello auch Stimmgabeln, Synthesizer und Klavier. Manchmal werden diese Klänge elektronisch verändert, manchmal aber auch durch das Cello gehört, wodurch das altehrwürdige Instrument in einer maximalen Erweiterung der Spieltechniken zum Klangkörper für andere Tonquellen wird.
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Lukas Lauermann – IN
Lukas Lauermann ist ein überaus umtriebiger, wandelbarer und
hochmusikalischer „Vielkönner“. Der Wiener arbeitete als Live- und Studiomusiker, Arrangeur und Komponist bereits mit so unterschiedlichen Künstlern wie Donauwellenreiter, Alicia Edelweiss, Der Nino aus Wien, Mira Lu Kovacs, Soap & Skin oder André Heller. Lauermann ist mit der Gabe zur Adaptation in verschiedenen ästhetischen Kontexten gesegnet und mit einem ausdifferenzierten Musikvokabular ausgestattet. Dennoch schreibt er sich mit seinem Cello-Spiel als Künstler stets ein, der Wiedererkennungswert ist hoch. Sein Spiel ist im Kern melodisch und von einer Popaffinität geprägt, kann aber dennoch im nächsten Augenblick unvermittelt die Abbiegung in Richtung kompromissloses Experiment nehmen. Besonders gut zeigt sich seine Vielseitigkeit und Experimentierlaune bei seinem Solo-Album „I N“, das seinem Solo-Debüt „How I Remember Now I Remember How“ nachfolgt.
Bediente er sich bei seinem Debüt noch bei Texten von bekannten Autoren als Gedankenanstöße und „Absicherung“, so ist „I N“
vordergründig von der Freude am Ausloten von Musik-Möglichkeitsräumen geleitet.
Die Kompositionen erzählen damit keine Geschichten mehr, sondern werden für sich zum Klangerlebnis.
Trotz ihrer Intensität ist die Musik auf „I N“ jedoch kein vorrangig emotionsgeleitetes und damit gefühliges Klangbad. Freudvolle
Musikerkundungen gehen eine hochinteressante Symbiose mit gedanklicher Klarheit und rationalen Konzepten ein. Das zeigt sich bereits im Titel selbst. „I N“ bezieht sich sowohl auf ein „in sich gehen“ als auch auf den „Input von außen“, betont Lauermann. Damit geht auch die Frage nach der genauen Verortung der Musik und deren Ausrichtung insgesamt einher.
„I N“ ist vordergründig von der
Freude am Ausloten von MusikMöglichkeitsräumen geleitet.
Durch „I N“ ziehen sich bei alldem jedoch deutlich erkennbare rote Fäden. Mit offenen Ohren begegnet man Einzeltönen in allen Klangfarben, die Lauermann aus in sich geschlossenen Tonkreisen gewonnen hat. Jedes klingende Intervall und jeder Ton innerhalb einer Oktave kommt darin exakt einmal vor. Damit suchte und fand er die Vollständigkeit im Kleinstmöglichen. Manche dieser
Einzeltöne sind dazu auch als „Codes“ hörbar – sie gleichen der rhythmischen
Übertragung eines Binärcodes.
Ähnlich diesem Binärcode lässt sich die Musik auf „I N“ in zwei Kategorien
einteilen. Das Cello diente ihm als Ausdrucksmittel für „intuitiv entstandenes Tonmaterial“.
Das Klavier wiederum steht in der Funktion als Gestaltungsmittel
für „intellektuell entstandenes Tonmaterial“. Diese Zuordnung ist jedoch kein Dogma. Oftmals werden die Zusammenhänge aufgrund inhaltlicher Konzepte auf vertauscht und überlagert. Das Cello bleibt immer Zentrum dieser Erkundungen und Grenzgänge. Auch die auf dem Album zu hörenden Stimmgabeln, Synthesizer und Klaviere werden stets über das Cello zum Klingen gebracht. Ihre Schallwellen werden auf den Corpus übertragen und von dort aus manchmal auch weiter in die elektronische Effektkette geschickt. Die Erweiterung des Cellospiels geht damit also so weit, dass das Instrument zum Körper für andere Schallquellen wird.
Das Endergebnis beschreibt Lauermann als einen „Organismus, in den es verschiedene Einstiegspunkte gibt“. „Reinen“ Cello-Stücken stellt er
Kompositionen, die ganz ohne seinem Hauptinstrument auskommen, zur Seite.
Mit den Nicht-Cello- Kompositionen habe er versucht sich „vom eigenen
Geschmack zu lösen“, so Lauermann. Im Wechselspiel bilden beiden Ebenen
das schier grenzenlose Klangabenteuer, das auf den Titel „I N“ hört.
Markus Stegmayr, 15.06. 2020